Eine Einführung in die Österreichische Schule der Nationalökonomie

„..eine wirtschaftliche Denkrichtung, die in Wien im späten 19. Jahrhundert von Carl Mengers Werken ausging. Die Österreichische Schule zeichnet sich dadurch aus, dass sie die Abläufe der Wirtschaft im Ganzen als die Summe individueller Entscheidungen und individuellen Handelns begreift. Sie unterscheidet sich darin von der Chicagoer Schule und anderen Theorien, die versuchen, auf Grundlage abstrakter historischer Daten Rückschlüsse für die Zukunft zu ziehen, oft unter Verwendung breiter statistischer Aggregate.“

Definition von Investopedia.com zur „Austrian School“ (Eigenübersetzung)

 

Die Österreichische Schule und ihre wichtigsten Vertreter

Die Österreichische Schule (auch Wiener Schule genannt) ist eine im späten 19. Jahrhundert entstandene Schule ökonomischen Denkens, die auf dem Konzept des methodologischen Individualismus beruht sowie auf der Idee, Wissen entwickele sich evolutorisch durch unternehmerische Entdeckungsprozesse.

Carl Mengers Werk „Grundsätze der Volkswirtschaftslehre“ (1871) wird weithin als das Gründungswerk der Österreichischen Schule betrachtet. Das Buch hatte als eines der ersten modernen Abhandlungen die Lehre vom Grenznutzen zum Inhalt und betonte im Gegensatz zur klassischen Nationalökonomie den einzelnen Menschen als wirtschaftlichen Protagonisten. Dessen subjektive Einschätzung darüber, inwiefern ein Gut die Befriedigung seiner Bedürfnisse leisten kann, bestimmt den Wert eines Gutes. Carl Mengers Beiträge zur Wirtschaftstheorie wurden von seinen Anhängern an der Wiener Universität, Eugen von Böhm-Bawerk und Friedrich von Wieser, hoch geschätzt und im Methodenstreit mit der Historischen Schule verteidigt. Obwohl die Zuordnung von Wieser umstritten ist, werden diese drei Ökonomen oft zur „ersten Welle“ der Österreichischen Schule gezählt.1 Prägend für die weitere Entwicklung der Österreichischen Schule war insbesondere von Böhm-Bawerk, der die Entwicklung der subjektivistischen Kapital- und Zinstheorie wesentlich voranbrachte.

Für die „zweite Welle“ waren Ludwig von Mises und Friedrich August von Hayek zentral. Sie erarbeiteten u.a. die Geld- und Kredittheorie sowie die Konjunkturtheorie der Österreichischen Schule. Sie argumentierten, dass Konjunkturzyklen eine Folge der Kreditexpansion der Banken seien.

Nachdem die Historische Schule in der Bedeutungslosigkeit versank, war die Österreichische Schule für eine Zeit lang im „Mainstream“ der ökonomischen Forschung angekommen. Mises‘ und Hayeks Einflüsse bewirkten jedoch erneut eine Entwicklung, die sich im Abseits von der vorherrschenden ökonomischen Forschung vollzog. Seit Mitte der 1930er Jahre zählt die Österreichische Schule zur heterodoxen Ökonomie.

Zusehends vertraten jedoch auch Hayek und Mises verschiedene methodologische Ansätze, die die Österreichische Schule langfristig prägten und die Denkrichtung ab 1940 zu einem gewissen Grad in zwei Hauptströme aufteilte. Mises und ihm nahe stehende Denker betrachteten den neoklassischen Ansatz als rettungslos mangelhaft, wohingegen die von Hayek angestoßene Strömung einen Teil der neoklassischen Methodologie akzeptierte.2 Die öffentliche Wahrnehmung und politische Wirkung Hayeks waren dabei deutlich ausgeprägter, dessen Denken Einflüsse auf die  Wirtschaftspolitik Pinochets, Reagons und Thatchers hatte. Zentral für sein Spätwerk war die Erkenntnis, bewusste politische Gestaltung verfehle seine Ziele und sei verhängnisvoll.3 1974 erhielt er den Nobelpreis für Wirtschaftswissenschaften.

Weitere wichtige Vertreter jener „zweiten Welle“ waren Gottfried Haberler, Ludwig Lachmann, Alexander Mahr, Fritz Machlup und Oskar Morgenstern.4

Während des Zweiten Weltkrieges flüchteten viele Denker der Österreichischen Tradition ins Ausland. Insbesondere in den USA belebten sie in der Folgezeit die akademische Landschaft, weshalb die „dritte Welle“ der „Österreicher“ vornehmlich amerikanisch geprägt ist. Einer der bekanntesten Vertreter war Murray Rothbard. Seine ökonomische Methode war stark von Mises‘ Praxeologie geprägt, dessen Werk er systematisierte. Er betrachtete die Zentralbanken als Verursacher von Konjunkturzyklen und hielt jegliche politische Interventionen in den Markt für verfehlt. Rigoros kritisierte er die Rolle des Staates, seine politische Forderung war die eines radikalen Libertarismus. Umstritten ist, ob die von ihm entworfene naturrechtlich begründete libertäre politische Ideologie der Österreichischen Schule zugeordnet werden kann.

Ein weiterer wichtiger Vertreter ist Israel Kirzner, der (im Gegensatz zu Rothbard) nicht fundamental gegenüber dem „Mainstream“ opponierte, sondern um einen Dialog bemüht war (z.B. versuchte er die Verschmelzung der von Mises‘schen Preistheorie mit der konventionellen). Er erforschte und betonte vorrangig die Rolle des Unternehmers für die Wirtschaft, wobei er sowohl auf Mises‘ als auch auf Hayeks Werk Bezug nahm und eine Lücke schloss, die die neoklassischen Gleichgewichtsmodelle offen gelassen hatten.

Zu den wichtigsten lebenden Vertretern der Österreichischen Schule zählen Jesus Huerta de Soto, Hans-Hermann Hoppe, Joseph Salerno, Lew Rockwell, Walter Block, Roger Garrison, Robert Murphy, Gary North, Mark Thornton, Jörg-Guido Hülsmann, Thorsten Polleit, Frank Shostak, George Reisman, William Anderson, Thomas Woods, Richard Ebeling, Bettina Bien Graeves, Robert Higgs, Stephan Kinsella, Roderick Long, Tibor Machan, Doug French, Yuri Maltsev, Ralph Raico, Jeffrey Tucker, Peter J. Boettke und Robert Wenzel.

 

Wesentliche Grundgedanken der Österreichischen Schule

  • Geld ist nicht neutral
  • Inflation ist eine Ausweitung der Geld- und Kreditmenge
  • Inflation ist eine schädliche Politik, die einen Vermögenstransfer verursacht (Cantillon-Effekt)
  • Privateigentum und Eigentumsrechte sind unentbehrliche Grundlage einer Wohlstandsentwicklung
  • Es geht in der Wirtschaftswissenschaft gänzlich um Individuen (Subjektivismus, methodologischer Individualismus)
  • Im Gegensatz zu den meisten anderen Wirtschaftsschulen unterscheidet die Österreichische Schule nicht zwischen der Mikro- und der Makroökonomie
  • Handlungen haben Konsequenzen – sowohl positive als auch negative, kurzfristige wie langfristige, offensichtliche und weniger offensichtliche
  • Rettungspakete führen zu moralischem Fehlverhalten („moral hazard“)
  • Der Wert eines Gutes beruht auf der subjektiven Einschätzung eines Individuums darüber, inwieweit dieses Gut der Befriedigung seiner Bedürfnisse dient
  • Preise spiegeln auf freien Märkten die Wertschätzungen der Akteure wider, signalisieren sowohl Knappheit als auch Überschüsse und sind unerlässlich für die effiziente Zuteilung von Ressourcen
  • Verfälschte Preissignale für Geld (respektive Zinsen), die von Zentralbanken bestimmt werden, sind die Ursache von Konjunkturzyklen (Boom-Bust Zyklen)
  • Das Senken der Zinsen führt zu Verwerfungen in der Wirtschaft, da relative verzerrt werden, Investitionen (wie auch Konsumkredite) als besonders günstig erscheinen, was zu einem künstlichen Aufschwung führt – können Fehlleitungen und Fehlinvestitionen nicht länger unterstützt werden, da ein Mangel an tatsächlichen Ersparnissen ersichtlich wird, beginnt ein Abschwung, in dem diese Fehlinvestitionen abgearbeitet werden
  • Eine Rückkehr zu solidem (Markt-)Geld ist notwendig und wird befürwortet

 

„Das wiederholte Auftreten von Aufschwungsphasen gefolgt von Phasen der Depression ist das unvermeidbare Resultat der immer wiederholten Versuche die Marktzinsen durch Kreditausweitung zu senken. Es ist nicht möglich den schlussendlichen Zusammenbruch eines Aufschwungs zu verhindern der durch Kreditausweitung ausgelöst wurde. Es gibt nur eine Alternative: entweder die Krise setzt früher ein, aufgrund einer freiwilligen Abkehr von der Kreditexpansion – oder sie setzt später ein, als eine endgültige und totale Katastrophe des betroffenen Währungssystems.“

Ludwig von Mises, Human Action

 

 

Nächstes Kapitel: Die Hauptthesen der Österreichischen Wirtschaftslehre

 

Footnotes
1 ‘Austrian Economics. A Primer’, Adam Smith Institute, Dr. Eamonn Butler

2 Wikipedia, Austrian School of Economics

3 Gerhard Wilke: Neoliberalismus, Campus, Frankfurt am Main 2003, S. 115

4 Angemerkt sei, dass die Systematisierung von ähnlich orientierten Denkern zu Schulen an sich ein Komplexität reduzierender, theoretischer Ansatz ist und mitunter ein homogeneres Denken unterstellt, als tatsächlich der Fall ist. So gibt es Forscher, deren Werk zum Großteil den Kern einer Denkschule ausmachen und solche, deren Werk Parallelitäten und teilweise Überschneidungen zu einer Denkschule aufweisen – sogenannte „Satelliten“. Zu solchen könnten u.a. Max Weber, Joseph Schumpeter oder auch Karl Popper gezählt werden.